Wellness und Gesundheit

Das kleine Ich


Es war einmal ein kleines Ich, das in einem Mutterleib heranwuchs.
Dieses Heranwachsen war sehr merkwürdig für das kleine Ich, und eigentlich wusste es gar nicht richtig, was mit ihm geschah.
Natürlich hätte es gar nicht „kleines Ich“ heißen dürfen, genau genommen lautete sein wirklicher Name „wahres Selbst“. Doch so hieß halt keine einzige Menschenseele, und irgendeinen Namen musste es schließlich haben, wenn es in einem Körper leben und gehört werden wollte. Denn dies war seine Aufgabe, wenn es erst einmal in seinem Körper geboren wurde: es war dazu da von seinem Menschen wahrgenommen und gehört zu werden, denn immerhin war es einzigartig und trug die gesamte Weisheit des Universums in sich.
Es sollte angeblich ja so sein, dass ein Mensch sein kleines Ich alias wahres Selbst vergaß, sobald der Körper, in dem das kleine Ich wohnte, geboren war. Woher es diese Information hatte, wusste das kleine Ich nicht mehr so genau, sie war einfach da. Aber das kleine Ich hoffte inständig, dass alles ganz anders kommen möge – zunächst war es jedoch erst einmal damit beschäftigt, wie es war, in einen Körper hinein zu wachsen, denn dies war wahnsinnig spannend. Dieser kleiner Körper bildete sich von ganz allein, und nur der Kuckuck wusste, wie dieser Prozess vonstatten ging! Da formte sich etwas um das kleine Ich herum, und wuchs, und wuchs – und dieses Gebilde sollte sein Zuhause werden. Das kleine Ich hockte staunend in der Mitte, und verstand die Welt nicht mehr! Ob es jemals wieder hier heraus kommen würde? Vor allem, was da inzwischen schon um das kleine Ich entstanden war, war allerhand. Es gab gar keine Chance mehr zu flüchten, dieser Körper wuchs und wuchs und wuchs. Spannend war, dass es ein Herz gab, das leise schlug. Das Herz hatte das kleine Ich lieb, das spürte es, weil es die große unendliche Liebe des Universums ganz genau kannte, und ja in sich trug. Daher war ihm das Herz äußerst sympathisch, und es hoffte inständig, dass sie beide auch weiterhin immer miteinander verbunden sein mögen.
Aber es kamen noch weitere Organe hinzu, die Nieren, die Leber, die Gallenblase, die Milz und die Bauchspeicheldrüse. Oh, und den großen, langen Darm nicht zu vergessen, der ein wahrlich großes, sogar sehr sehr umfangreiches und fühlendes Organ war!
Auch in den obersten Teil des Körpers, der sich um das Kleine Ich herum bildete – es wurde als Kopf bezeichnet - zog das kleine Ich erst einmal ein. Schließlich wollte es ja in allem vorhanden sein, was zum Körper dazu gehörte, damit der Körper auch immer schön mit ihm reden und kommunizieren konnte. Der Kopf war ihm ein bisschen unheimlich, als ahnte es bereits, dass dieser Teil des menschlichen Körpers ihm nicht immer wohl gesonnen sein würde.
Als der Körper um das kleine Ich herum groß genug war, machte er sich bereit, das Licht der Welt zu erblicken. Das kleine Ich fieberte diesem Moment nun auch entgegen, des es freute sich so sehr auf das Leben, das vor ihm lag!
Und dann war es soweit, das kleine Ich wurde in seinem Körper geboren, und es nahm die große Liebe der Frau war, in deren Körper sich der Körper, der sein Zuhause war, heran gewachsen war. Das kleine Ich war sehr glücklich, denn es war gar nicht schlimm gewesen, in einem Körper geboren zu werden! Es hatte kein bisschen weh getan, alles war gut.
Auch in den nächsten Jahren, in denen der Körper wuchs und wuchs, fühlte sich das kleine Ich sehr wohl. Bis dann eines Tages das Kopfzentrum vom Außen programmiert wurde, und sehr viel zu lernen hatte! Ungeheuer viele Informationen musste sich das Kopfzentrum merken: die Regulation der Körperfunktionen, der Nahrungsaufnahme, später folgten gesellschaftliche Regeln, das Lernen in der Schule begann, und so ging es immer weiter und weiter.
Irgendwann war das kleine Ich nicht mehr der innigste Freund des Kopfzentrums, denn der Kopf versuchte es zu verdrängen, und teilte ihm mit, es möge bitte endlich mal die Klappe halten, es störe durch sein Geplapper seine Programmierungen. Allein schon die Formulierung „es störe“, und „Programmierungen“! War es denn nicht hier, um zu leben? Um seinen Menschen innerlich zu tragen, zu halten, und ihm den wahren Weg zu weisen?
„Nein!“, donnerte sogleich das Kopfzentrum, „Denk noch nicht mal daran! Ich bin hier der Herr! Sollte ich jemals deinen Rat benötigen, werde ich es dich schon wissen lassen!“
Und weg war er. Das kleine Ich wurde sehr traurig. Wie sollte sein Mensch denn ohne das kleine Ich glücklich und wahrhaftig leben können? Leise kauerte es sich in sich selbst zusammen, und wartete. Und wartete. Und wartete…
Es wartete viele, viele Jahre. Das Herz seufzte oft und viel, und sagte dem kleinen ich, wie traurig es doch sei. So habe es sich das Leben nicht vorgestellt, daher hoffe es. Bis zum letzten Atemzug seines Menschen wollte das Herz hoffen.
Eines Tages wurde der Körper, in dem das kleine Ich wohnte, sehr, sehr krank. Das kleine Ich wollte helfen, und rief laut: „ Ich bin doch da, ich lebe in dir, du musst nur in dich hinein horchen! Hör mich doch bitte!“
Aber es passierte immer noch nichts. Auch der Kopf verzweifelte. „Mir fällt nichts mehr ein“, sagte er zum kleinen Ich, „kannst du mir denn nicht helfen? Unser Mensch ist unvernünftig und stur. Okay, das habe ich ihm eingeredet, es ist meine Schuld. Aber ich glaube, es ist jetzt notwendig, dass wir beide zusammen arbeiten, sonst stirbt unser Körper.“
Das kleine Ich sendete fortan über das Herz leise Informationen zum Kopf. Und als es dem Körper so schlecht ging, dass kaum mehr Hoffnung zum Überleben bestand, veränderte sich plötzlich etwas. Der Kopf wurde immer öfter ruhiger, und er schwieg auch freiwillig. So konnte das kleine Ich mit seinem Menschen sprechen, und ihm mitteilen, dass es da war.
Es geschah ein Wunder, der Mensch wandte sich immer häufiger nach Innen zum kleinen Ich, seinem wahren Kern. Das kleine Ich freute sich, und jauchzte, denn es wurde wahrgenommen, und war unheimlich glücklich darüber! Dieses Glück sandte das Herz stets sofort zu seinem Menschen. So wurde der Körper, der sich nun endlich auch beachtet und wertgeschätzt fühlte, langsam wieder gesund.
Der Mensch war aufgewacht, und er sorgte fortan dafür, dass sein Kopfzentrum regelmäßig Ruhe bekam, so dass sich alle Organe und Zellen des Körpers erholten. Die Energie kam wieder in ihren natürlichen Fluss, und das kleine Ich vertraute seinem Menschen langsam, dass es ihm wichtig war, und er es auch wirklich lieb hatte und zu schätzen wusste.
Der Mensch änderte Vieles in seinem Leben, so wichtig war ihm sein wahres Selbst!
Nach und nach fühlten sich alle wieder wohl, alles war wieder eine Einheit. Und so lebte der Mensch noch sehr viele glückliche Jahre, bis sein Körper dann irgendwann im hohen Alter starb und verging.
Das kleine Ich war nun wieder in seinem eigentlichen Zuhause, im Universum, und es dauerte, bis es das auch begriffen hatte. Hier war es viele Jahrzehnte nicht mehr gewesen, aber natürlich wusste es, dass alles in schönster Ordnung war. Das Universum nahm das kleine Ich sofort auf in seinen lieben Himmelstanz. Es wurde geliebt, dehnte sich glücklich aus in alle Richtungen, und alles war haolá!
Alles war gut.





C.- Andrea Lippert, 24.10.2018, in Erinnerung an meine liebe Mutter